Wandel und Widersprüche: Interview mit einem Co-Regisseur von «CONTRADICT»

Als der Abspann kam, blieb es lange still im Publikum. Der Film “CONTRADICT – Ideas for a New World”, der am 28. April 2022 im Rahmen von “Filme für den Wandel” im Cultibo gezeigt wurde, hatte die Zuschauenden sichtlich ergriffen. Bilder und Töne schienen noch im Raum zu schweben: die Lichter der Grosstadt Akkra, die Palmen, die elektronischen Beats, und vor allem die Statements der Musiker*innen, die Mut zum Wandel ausdrücken und ihr Land – Ghana – zum Besseren verändern wollen.

In der anschliessenden Diskussion stellte sich aber heraus, dass der Film einiges offen lässt und die Zuschauenden mit ihren Fragen allein lässt. Der Co-Regisseur des Films, der Schweizer Filmemacher Thomas Burkhalter, hat sich freundlicherweise bereit erklärt, in einem Interview ein paar Antworten zu geben.

Filme für den Wandel: Gewisse Dinge waren für uns schwierig einzuordnen. Überwiegt am Schluss die Hoffnung oder die Resignation? Für uns war es ambivalent.

Thomas Burkhalter: Dieser Eindruck stimmt auf vielen Ebenen. Für Peter Guyer und mich ist es nicht nur ein Film über Afrika, sondern ein Film über die heutige Zeit, der in einem afrikanischen Land spielt. Es geht uns darum zu zeigen, was mit Kreativität möglich ist, aber wie schwierig es ist, als künstlerischer Mensch vorwärts zu kommen und akzeptiert zu werden, schon nur von den Nachbarn oder der Familie. Wie schwierig es ist, gehört zu werden.

Der Film ist bewusst offen, sodass man beide Sichtweisen haben kann. Dass Kreativität eine Stadt, ein Land, die Welt zu einer besseren Zukunft führen kann, aber auch die Sicht, dass die Leute gegen Widerstände ankämpfen müssen. Wir hätten den Film sehr optimistisch oder sehr pessimistisch zeichnen können, haben aber einen Mittelweg gesucht. Wir hatten eine Version, die war so pessimistisch, dass die Tränen geflossen wären. Das Realistische ist, dass es einen Widerspruch gibt zwischen Hoffnung und Stillstand. Wenn ich ihn selber anschaue, dann ist es je nach Tag verschieden. Für mich ist er eher pessimistisch, für Pesche ist er vielleicht eher optimistisch. Ich bin nicht ganz sicher.

Können die im Film portraitierten jungen Musiker*innen wirklich eine gesellschaftliche Veränderung anstossen, so wie sie es propagieren? Werden sie von den Mächtigen, von den Politiker*innen gehört?

“Wanlov The Kubolor” ist ziemlich bekannt in Ghana und kommt dort auch öfters im Fernsehen. Er hat dabei aber manchmal das Gefühl, dass er der Pausenclown ist, den man nur einlädt, um noch eine andere Meinung zu haben. Das frustriert ihn. Das merkt man immer mal wieder, wenn man mit ihm redet. Popmusiker werden von der Gesellschaft in Ghana skeptisch angeschaut. Es ist nur ein Spielvertrieb, man leistet ja nichts. Es hat etwas von einer Parallelgesellschaft. Ich glaube aber, dass es etwas verändern kann, weil es die junge Generation motiviert, andere Wege zu gehen, andere Karrieren einzuschlagen. Es ist eine langsam wachsende Veränderung, die Generationen braucht.

Wir sehen es ja auch in der Schweiz, wie schwierig es ist, kreatives Schaffen an die Öffentlichkeit zu bringen. Wenn du hier Musik produzierst und eine Botschaft in die Welt bringen willst, hast du nicht gleich ein Publikum. Du kämpfst gegen einen Mainstream und Plattformen, die nicht auf Tiefe abfahren, wenn es nicht gerade ein Skandal oder super crazy ist.

Was wir uns auch gefragt haben: Was für Lehren oder Anregungen könnten wir am Wandel Interessierten in der Schweiz aus diesem Film ziehen?

Ich glaube, was man lernen kann, ist der Wille, etwas zu verändern. Die Motivation, vorwärts zu gehen, egal wenn niemand mitkommt. Sich nicht bequem einnisten. Wir sind ja relativ sicher in diesem Land und mit einem Nebenjob kann man über die Runden kommen. Was wir von ihnen lernen können, ist der Ehrgeiz, vorwärts zu kommen und ein Land zu verändern. Es ist vielleicht klischiert, aber in der Schweiz sehe ich das nicht so. Europa ist eher in sich ruhend, es will bewahren, hofft, dass es nicht abwärts geht. In anderen Ländern gibt es Leute, die ein Wagnis eingehen. Europa muss aufpassen, dass es nicht ins Hintertreffen gerät, wenn man zum Beispiel mit Asien vergleicht. Auch mit der Migration. Junge Leute und ihre Eltern, die aus anderen Ländern kommen, sollten wir als Chance sehen und schauen, was für ein Wissen und was für Ideen sie mitbringen. Und uns vernetzen, auch international, das ist dringend nötig.

Will der Film eine Doku sein, ein Experiment, oder eine Mischform?

Der Film ist von den Genres her eine Mischform. Was Pesche und ich wollten, ist möglichst tief in den Kontext eintauchen und auf adäquate Art erzählen, dass man auch als Kinozuschauer eintauchen und diese Atmosphäre spüren kann. Es ist ein Essayfilm, eine Doku, eine Szene ist auch Fiktion. Ein Teil des Budgets ging an die Musiker, damit sie eigene Songs und Videos aufnehmen konnten. Da wurde nichts von uns verändert, ausser in der Länge. Pesche und ich haben unsere Handschrift, aber es war eine Kollaboration auf vielen Ebenen. Die Frage war, wie können wir als zwei weisse Männer einen Film über Afrika machen? Am Schluss hört man ein Gedicht, das einige Fragen in den Raum stellt. Es ist die Reaktion der Spoken-Word-Künstlerin Poeta Asantewa auf den Film. Sie war die Erste, die ihn sah. Wir wollten sie im Film haben, aber sie wollte nicht ins Bild. Auch die ganzen Stimmen, die man in den Nachtszenen hört, sind alles Interviews, die wir auf der Strasse mit älteren und jüngeren Leuten gemacht haben, wie sie Ghana in der heutigen Zeit sehen. Es zeigt die Stimmung im Land, wie viel Wut und Depression da ist. Auch die Selbsmordrate steigt in Ghana. Wir sind beide Ethnologen und versuchten möglichst tief einzutauchen und diese Welt zu spüren.

Im Film wird das Thema Gender kurz angesprochen, aber dann nicht weiter ausgeführt. Die Ministerin/Genderbeauftragte gibt einige Platitüden über Frauen und Männer von sich und das wars dann. Wir waren uns nicht sicher, ob der Film diese Szene ernst oder ironisch meint.

Das war der Versuch, dass wir nicht nur einen Film über eine Nische/Subkultur drehen – wobei diese Musiker ihre Reichweite haben, ich will das nicht kleinreden – sondern dass wir auch mit Leuten reden, die politische oder wirtschaftliche Macht haben. Auch mit evangelikalen Priestern, oder eben mit dieser Ministerin …

Genau, das wäre die nächste Frage: Wie ist der Priester einzuordnen, der gesegnete Bonbons verteilt, die Fruchtbarkeit bewirken sollen?

Die Freikirchen sind eine der grössten Mächte in Ghana. Wenn Politiker gewählt werden wollen, tun sie gut dran, mit diesen Priestern gutgestellt zu sein. Der Priester, der Toffees verteilt, ist einer der kontroversesten. Er war im Gefängnis wegen unlauteren Geschäfte. Wir hatten das Ziel, diese Welt zu zeigen, als eine Welt, wogegen die jungen Musiker ankämpfen. Aber wir wollten das nicht mit unseren eigenen kritischen Kommentaren machen, sondern im Film aufzeigen, wie diese Leute reden. Ins gleiche Kapitel gehört die Ministerin mit der Chromosomentheorie. Wir sind den Priestern sowohl ihr skeptisch eingestellt. Auf dem Stuhl sitzend verändert sie nicht viel. Die Menschen in Ghana, denen wir den Film gezeigt haben, hatten sehr Freude, dass wir diese Mächtigen interviewt haben. Es ist ein bisschen wie bei Ali G oder Borat, der scheinbar harmlose Interviews mit Mächtigen führt. Ich zeigte mich zum Beispiel in unserem langen Interview fasziniert von dem evangelikalen Priester, der behauptet, ein Engel zu sein, um herauszufinden, wie er tickt. Es ist eine Gegenwelt, aber wir haben es im Film nicht deklariert, was für die Leute in Europa nicht einfach zu lesen ist. Für die Leute in Ghana wäre es klar.

Weitere Infos zum Film: www.contradict-film.com
Stream On Demand:
https://www.filmingo.de/de/films/849-contradict